Wer sich für Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen
in Buchform interessiert, ist heute hier genau richtig. Mit „89/90“ des
Dresdner Autors Peter Richter möchte ich euch einen Roman vorstellen, der die
Wendejahre 1989 und 1990 beschreibt, geschrieben von einem Autor, der das
Erzählte in großen Teilen genauso selbst erlebt hat.
Inhalt
In zwei Teilen erfahren wir über die Erlebnisse und
Eindrücke eines siebzehnjährigen, ostdeutschen Schülers in den Jahren 1989 und 1990 und dem Aufkeimen der Hooligan-Szene. Erzählt wird von der
Zuspitzung zum Mauerfall hin, dem Vakuum zwischen Mauerfall und Beitritt zur BRD
sowie den ersten Monaten Ostdeutschlands als neuem Staat. Historische Fakten
treten im Buch nur dann in Erscheinung, wenn sie das Leben des Schülers direkt
beeinflussen.
Im Buch gibt es eine gewisse Vielfalt an Personen. Wir
lernen auf der einen Seite sehr staatstreue Personen kennen wie eine Lehrerin
und seine feste Freundin, auf der anderen Seite einige Personen der „non-konformen“
Seite wie Punks oder einem Transvestit. Der namenlose Erzähler selbst
ist ein Junge, der eine klare linke Haltung hat und auch bei Schlägereien
„gegen Glatzen“ dabei ist. Zudem erfahren wir über ihn viel zum Thema Popkultur.
Form
Die Sprache des Erzählers ist einfach, mündlich und jugendlich slanghaft und die wörtliche Rede bspw. ist nicht als solche gekennzeichnet. Das Buch wird dadurch leicht lesbar und zugänglich und die Hauptfigur nahbar und authentisch. Am auffälligsten ist, dass Peter Richter statt Vornamen auszuschrieben alle Personen mit dem Anfangsbuchstaben des Namens abgekürzt. Dadurch ersteht zum einen der Eindruck, dass es diese Menschen tatsächlich so gegeben hat bzw. gibt und ihre Identität gewahrt werden soll. Auf der anderen Seite fällt es einem dadurch sehr schwer, die Figuren auseinander zu halten und Szenen im Kopf entstehen zu lassen.
Aussage
Für mich lässt sich die Haupterkenntnis, die der Erzähler durchscheinen lässt so zusammenfassen: Alles geht weiter. Im Positiven wie im Negativen. Der Alltag
ist und bleibt der Alltag. Nur weil die Mauer weg ist, gibt es trotzdem noch
das gleiche Frühstück, die Luft riecht genauso wie am Vortag. Alle Gebäude sind
noch da, die Schule, die Arbeit geht weiter (das ist an sich schon eine
erschütternde Erkenntnis). Mal kommt ein anderer Politiker, mal gibt es
Begrüßungsgeld. Einige Familien gehen, andere kommen. Eine bittere Erkenntnis,
aber sicher auch die Realität der Geschwindigkeit im Übergang zwischen zwei politischen bzw.
gesellschaftlichen Systemen.
Kritik
Es handelt sich bei Peter Richters „89/90“ ganz klar um einen subjektiv gefärbten Blickwinkel begrenzt auf das Alter,
die soziale Stellung und den Wohnort des Schülers als Hauptfigur. Damit sind
wir auch schon beim Kern meiner Kritik: Ich habe Probleme mit der Form, nämlich
dem Schüler als Erzähler. In der Form von Beschreibungen ist mir das Buch – von meinem ostdeutschen Standpunkt her – zu unreflektiert und einseitig. Ich habe zumindest
gehofft mehr über die Gründe für die linke Haltung des Schülers zu erfahren.
Genauso habe ich Schilderungen des Familienlebens vermisst, um mehr Perspektiven
in die Geschichte zu bekommen, so wird bspw. leider mit keinem Wort das Elternhaus
des Schülers beschrieben.
Fazit
Wer nach einer Alltagsbeschreibung der Jahre 1989 und 1990 sucht,
wird hier in der Form von Beobachtungen eines Schülers fündig. Gewisse
geschichtliche Ereignisse und Begriffe sind vorausgesetzt (Struktur der FDJ
etc.). Wer etwas über die genauen historischen Abläufe wissen will, ist hier
falsch. Für mich blieb der Blickwinkel im Buch zu einseitig, vom
Stil her zu distanziert und kalt sowie im Detail ein wenig zu undifferenziert. Krass
hoch gelobt, hat es mich ein wenig enttäuscht.
Habt ihr schon von diesem Buch gehört oder es gelesen?
Interessieren euch solche Romanthemen?
Alles Liebe
Eure Katharina
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