Peter Richter "89/90" | Buch-Rezension

31 Mai 2017

Wer sich für Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen in Buchform interessiert, ist heute hier genau richtig. Mit „89/90“ des Dresdner Autors Peter Richter möchte ich euch einen Roman vorstellen, der die Wendejahre 1989 und 1990 beschreibt, geschrieben von einem Autor, der das Erzählte in großen Teilen genauso selbst erlebt hat.



Inhalt

In zwei Teilen erfahren wir über die Erlebnisse und Eindrücke eines siebzehnjährigen, ostdeutschen Schülers in den Jahren 1989 und 1990 und dem Aufkeimen der Hooligan-Szene. Erzählt wird von der Zuspitzung zum Mauerfall hin, dem Vakuum zwischen Mauerfall und Beitritt zur BRD sowie den ersten Monaten Ostdeutschlands als neuem Staat. Historische Fakten treten im Buch nur dann in Erscheinung, wenn sie das Leben des Schülers direkt beeinflussen.

Im Buch gibt es eine gewisse Vielfalt an Personen. Wir lernen auf der einen Seite sehr staatstreue Personen kennen wie eine Lehrerin und seine feste Freundin, auf der anderen Seite einige Personen der „non-konformen“ Seite wie Punks oder einem Transvestit. Der namenlose Erzähler selbst ist ein Junge, der eine klare linke Haltung hat und auch bei Schlägereien „gegen Glatzen“ dabei ist. Zudem erfahren wir über ihn viel zum Thema Popkultur. 
Form
Die Sprache des Erzählers ist einfach, mündlich und jugendlich slanghaft und die wörtliche Rede bspw. ist nicht als solche gekennzeichnet. Das Buch wird dadurch leicht lesbar und zugänglich und die Hauptfigur nahbar und authentisch. Am auffälligsten ist, dass Peter Richter statt Vornamen auszuschrieben alle Personen mit dem Anfangsbuchstaben des Namens abgekürzt. Dadurch ersteht zum einen der Eindruck, dass es diese Menschen tatsächlich so gegeben hat bzw. gibt und ihre Identität gewahrt werden soll. Auf der anderen Seite fällt es einem dadurch sehr schwer, die Figuren auseinander zu halten und Szenen im Kopf entstehen zu lassen.


 Aussage

Für mich lässt sich die Haupterkenntnis, die der Erzähler durchscheinen lässt so zusammenfassen: Alles geht weiter. Im Positiven wie im Negativen. Der Alltag ist und bleibt der Alltag. Nur weil die Mauer weg ist, gibt es trotzdem noch das gleiche Frühstück, die Luft riecht genauso wie am Vortag. Alle Gebäude sind noch da, die Schule, die Arbeit geht weiter (das ist an sich schon eine erschütternde Erkenntnis). Mal kommt ein anderer Politiker, mal gibt es Begrüßungsgeld. Einige Familien gehen, andere kommen. Eine bittere Erkenntnis, aber sicher auch die Realität der Geschwindigkeit im Übergang zwischen zwei politischen bzw. gesellschaftlichen Systemen. 

Kritik

Es handelt sich bei Peter Richters „89/90“ ganz klar um einen subjektiv gefärbten Blickwinkel begrenzt auf das Alter, die soziale Stellung und den Wohnort des Schülers als Hauptfigur. Damit sind wir auch schon beim Kern meiner Kritik: Ich habe Probleme mit der Form, nämlich dem Schüler als Erzähler. In der Form von Beschreibungen ist mir das Buch – von meinem ostdeutschen Standpunkt her –  zu unreflektiert und einseitig. Ich habe zumindest gehofft mehr über die Gründe für die linke Haltung des Schülers zu erfahren. Genauso habe ich Schilderungen des Familienlebens vermisst, um mehr Perspektiven in die Geschichte zu bekommen, so wird bspw. leider mit keinem Wort das Elternhaus des Schülers beschrieben. 


Fazit

Wer nach einer Alltagsbeschreibung der Jahre 1989 und 1990 sucht, wird hier in der Form von Beobachtungen eines Schülers fündig. Gewisse geschichtliche Ereignisse und Begriffe sind vorausgesetzt (Struktur der FDJ etc.). Wer etwas über die genauen historischen Abläufe wissen will, ist hier falsch. Für mich blieb der Blickwinkel im Buch zu einseitig, vom Stil her zu distanziert und kalt sowie im Detail ein wenig zu undifferenziert. Krass hoch gelobt, hat es mich ein wenig enttäuscht.
Habt ihr schon von diesem Buch gehört oder es gelesen?
Interessieren euch solche Romanthemen?
Alles Liebe
Eure Katharina

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