Buchrezension | Benedict Wells - "Spinner"

10 Februar 2016

 
Liebe Leseratten und Bücherwürmer,

heute sollt ihr hier auf Großstadtgedanken wieder mal auf eure Kosten kommen. Ihr habt es vielleicht aus unserem Jahresrückblick herausgelesen, wir wollen uns wieder stärker dem Thema Bücher widmen, d.h. eigentlich uns selbst in aller erster Linie wieder viel mehr Zeit zum Lesen nehmen. Auch in der Hoffnung, dass die ein oder andere Rezension daraus erwächst.
 
Den Anfang für dieses Jahr soll das Buch "Spinner" von Benedict Wells machen. Der Roman wurde im Jahr 2009 veröffentlicht, der Autor hat ihn mit 19 Jahren geschrieben, so die Verlagsinfo. Er galt also damals ein bisschen als Wunderkind. Warum ich, Katharina, dieses Buch gekauft habe und was meine Erwartungen daran waren, könnt ihr noch einmal in meinem Book-Haul nachlesen.
 




Autor: Benedict Wells

Titel: Spinner

Verlag: Diogenes

1. VÖ: 2009

Seiten: 309 (Taschenbuch)

ISBN: 978-3-257-24054-2






➦ Worum geht's?
» Jesper Lier, zwanzig, weiß nur noch eines: Er muss sein Leben ändern, und zwar radikal. Er erlebt eine turbulente Odyssee durch das neue Berlin. Ein tragikomischer Roman über die Angst, wirklich die richtigen Entscheidungen zu treffen.«

➦ Konstruktion

Die erzählte Zeit von "Spinner" ist sehr kurz, wir begleiten die Hauptfigur Jesper genau eine Woche lang auf seinen Streifzügen durch Berlin, wobei kein Tag ausgelassen wird. Jesper bleibt bis zum Schluss der Ich-Erzähler. Daneben gibt es ein, zwei Rückblenden. Der Roman gewinnt damit definitiv an Kurzweiligkeit. Die Sprache ist insgesamt sehr zugängig und unmittelbar, sie ist unkompliziert, knapp und eher am Mündlichen orientiert.
 
Neben Jesper gibt es im Buch nur sechs weitere, wirklich relevante Figuren: zwei Schulfreunde, zwei Mädels, zwei Mentoren. Sehr überschaubar und gut von einander abgrenzbar. Das habe ich wirklich sehr geschätzt. Von den Figuren, Jesper eingeschlossen, erfährt man erst nach und nach Gedanken und Handlungsmotive. Alle werden zunächst  nur mit ganz wenigen Sätzen beschrieben, wobei das Augenmerk eher auf typischen Handlungsweisen und Gesten liegt. Trotz dieser Kürze hat man dennoch sofort die entsprechenden Stereotypen im Kopf, es entsteht sofort ein  Bild vor dem inneren Auge. Eine große Kunst des Autors, wie ich finde, die von starker Beobachtungsgabe zeugt.


➦ Einstieg & Handlung

Am Anfang plätschert die Geschichte so vor sich hin.  Man lernt ein paar Figuren kennen, begleitet Jesper in seinem Alltag, erfährt, dass er sich in Berlin die große Schriftsteller-Karriere erhofft und das doch nicht so ganz klappen will. Er hat ein Praktikum bei einer (kostenlosen) Tageszeitung, wohnt in einer 1-Zimmer-Souterrain-Wohnung. Man ahnt, dass es ihm nicht so gut geht, wenn man liest, dass er auch mit seinem Manuskript nicht so ganz vorwärts kommt.

Auf den ersten paar zehn Seiten denkt man zunächst, dass da nichts Aufregendes oder Tiefergehendes mehr kommt. Die Figuren kommen einem erstmal wie austauschbare Hüllen vor, wandelnde Klischees. Man denkt, alles schon tausend Mal dagewesen: Ein Junge geht  nach dem Abi vom bayerischen Kaff ins aufregende Berlin, erlebt dort unzählige Abenteuer und Mädchengeschichten und reift zum Mann und besinnt sich auf die kleinen Dinge im Leben. Oh, Boy! ;) Das Ende ist dann aber doch ganz anders. Das Buch hat mich erst ab ungefähr Seite 90 gekriegt, wenn man mehr über Jespers Vorgeschichte, Ziele, seine aktuelle Situation und seine Gedanken erfährt, wenn auch die Nebenfiguren an Tiefe gewinnen.

Das Buch hat eine angenehmes Tempo. Das Rastlose der Hauptfigur ist gut umgesetzt, es ist als Gefühl neben einer gewissen Kraftlosigkeit ständig unterschwellig präsent. Man ist als Leser so unstetig wie Jesper selbst, der es in seiner Wohnung nicht lange aushält und den es immer wieder nach draußen zieht. Man rauscht mit ihm zusammen durch die Straßen von Berlin. Da ist Benedict Wells wirklich sprachlich und von der Konstruktion her eine sehr schöne Parallelität gelungen.

➦ Thema & Anleihen

Thematisch beschreibt "Spinner" dieses Loch nach der Schule, wo man noch nicht weiß, wo es hingehen soll. Kombiniert mit dem Schauplatz Berlin, d.h. mit seiner Anonymität und der ein oder anderen gescheiterten Existenzen mehr, ist dieses Thema wunderbar greifbar. Gegen Ende des Buches taucht dann sogar noch ein Thema auf, was man so hatte nicht ganz kommen sehen, obwohl die Anzeichen doch die ganze Zeit da waren.

Vom Inhalt her erinnert mich "Spinner" ein wenig an "Soloalbum" von Benjamin von Stuckrad-Barre - auch so ein gehypter Berlin-Roman der Popliteratur. Vom Sprachstil und dem Gefühl des Verlorensein  her hat es für mich aber auch Ähnlichkeiten mit Wolfgang Herrendorfs "Tschick", die dort ausformulierten seelischen Tiefgänge gibt es hier allerdings nicht. Von der Absurdität der Geschehnisse her musste ich manchmal auch an den Film "Oh, Boy" denken.


➦ Fazit

Zuerst hatte ich schon Angst, dass es wieder so ein Hype ist, den man unbedingt verstehen oder zumindest nachvollziehen können muss. Dann werde ich immer so angespannt und setze mich unter Druck. "Hast du denn jetzt auch wirklich aaaalles genau gelesen, erfasst, Zusammenhänge erkannt? Du musst ja schließlich danach aussagefähig sein." Da kann ich euch beruhigen, so war es nicht.

Ich bin wirklich sehr froh, dass ich das Buch nicht vorzeitig weggelegt habe! Gegen Ende habe ich dann auch ein, zwei Tränen verdrückt, was ich am Anfang niemals für möglich gehalten hätte. Ich liebe einfach dieses Motiv: Mensch in der Großstadt fühlt sich verloren und sucht seinen Weg. Das Buch ist nicht verkopft, hat aber dennoch Tiefgang. Es wird einem aber nichts aufgezwungen. Darf man außerdem noch das Wort "Pageturner" verwenden? Ja, es ist einer. Ein gutes, leicht zugängliches Buch, auch für Leute jenseits der 20 Jahre, die immer noch ein wenig ihren Weg (in der Großstadt) suchen. "Spinner" lässt einen zurück mit dem Gefühl: "Dir geht es nicht alleine so" und "Wird schon". Und ein Spinner bist du mir deinen Träumen allemal nicht!

Eine definitive Empfehlung, daher gibt es für mich alle Daumen hoch!!!

★★★★★
 




Kennt ihr das Buch bereits?

Alles Liebe,
Eure Katharina

 

2 Kommentare:

  1. Ich hab von dem Buch noch nie gehört (ich lebe hinter dem Mond, das dürfte mittlerweile klar sein..), aber es klingt unglaublich gut! Das Thema spricht mich total an.
    Habe auch gleich die anderen genannten Bücher gegoogelt - werde wohl jetzt dann meine Wunschliste aktualisieren.. :)

    Was mir besonders gut gefällt ist dieser Beitrag an sich! Der Aufbau ist klasse und vor allem dein Schreibstil, liebe Katharina :) Ich finde Bücher-Rezensionen sind eher schwierig zu schreiben und auch zu lesen, aber diese hat mich komplett weggeflasht. Ganz toll!!!!

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    1. Liebe Maja,
      ich finde es so großartig, dass du bei so vielen unserer Themen dabei bist! Dass mir dein Kommentar (wieder mal) den Tag gerettet hat, klingt wie eine ewige Wiederholung, aber so ist! Dafür danke ich dir sehr!

      Ich konnte am Ende schon nicht mehr einschätzen, ob sich die Rezension jetzt interessant liest oder noch irgendeinen Sinn ergibt oder schon viel zu abstrakt ist - daher freue ich mich so unglaublich dass du mir jemand folgen konnte und über das explizite Lob!

      Da wir ja nun nicht gerade ein bekannter Bücherblog sind, ist es immer verdammt schwierig einzuschätzen, ob das nun jemand hier liest (ja, hausgemacht). Aber Mühe geheben will man sich ja dann doch bzw. hat so seinen eigenen Anspruch, mit dem Text zufrieden zu sein.

      Mit deinem Kommentar regst du mich aber tatsächlich auch dazu an, eine ewig alte Idee in die Tat umzusetzen und mal eine ganze Reihe zu diesem Motiv zu machen und da dann Bücher und Filme vorzustellen...

      Ich hoffe, du hast später viel Spaß mit deinen Bestellungen! Lass mich mal wissen, wie du die anderen Sachen fandest.
      Liebe Grüße
      Katharina :)

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