Ab morgen im Kino: "Mängelexemplar" | Film-Rezension

11 Mai 2016

Hallo ihr Lieben!

Immer wieder donnerstags stellt sich für Kino-Fans die Frage aller Fragen, welche Neustarts es zu sehen gibt, wofür es sich lohnt für knapp zwei Stunden 10-20 Euro auszugeben. Falls ihr gerne auch mal einen Film abseits der Hollywood-Blockbuster schaut, dann seid ihr hier genau richtig: Heute soll es um den Kinostart von "Mängelexemplar" gehen, der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sarah Kuttner.

Dass wir Bücher mögen und hin und wieder rezensieren, ist euch sicher bekannt. Dass und welche Filme wir lieben vielleicht auch. Vielleicht erinnert ihr euch sogar auch noch an die Kurz-Rezension von Sarah Kuttners  "Mängelexemplar". Ich, Katharina, hatten nun die Chance diesen Film, vorab zu sehen und möchte euch heute an meinen Eindrücken ausführlich teilhaben lassen. 


Worum geht es in "Mängelexemplar"?

Karo ist Ende zwanzig und schlittert in eine Depression. Sie hat gerade ihren Job verloren, ihr Freund Phillip gibt ihr keinen Halt, sie fühlt sich von der Welt im Stich gelassen. Eines Tages beschließt sie, sich Hilfe zu suchen. "Mängelexemplar" beschreibt mit wütendem Humor ihren Weg zurück in den Alltag. Wie sie es schafft über viele Rückschläge langsam ihre innere Balance sowie sich selbst wieder zu finden und sogar lernt, sich auf andere Menschen einzulassen und wieder zu verlieben.
 
Das Buch "Mängelexemplar", das bereits 2009 erschienen ist und in Berlin spielt, mochten wir, Diana und ich, beide sehr. Wir haben außerdem beide gewissermaßen einen persönlichen Bezug zum Thema. Das, was das Buch meiner Meinung nach ausmacht ist die Erzählperspektive und die Sprache. Sarah Kuttner lässt ihre  Hauptfigur Karo mit einer großen Portion Humor, Zynismus und Selbstreflextiertheit sprechen. Das Leid wird darin nicht zelebriert, es ist keine typische Betroffenengeschichte. Es geht um das Hier und Jetzt und darum, dass man sich in aller erster Linie selber in diesem Zustand nicht ausstehen kann. Depression wird - im Buch wie im Film - als eine Krankheit dargestellt, als eine Folge von sozialen Erfahrungen aber eben auch mit einer großen biochemischen Komponente. Ich persönlich habe dem Buch damals ein wenig vorgeworfen, dass es an manchen Stellen ein wenig Tiefe hat vermissen lassen und habe mit der Blässe aller Figuren bis auf Karo etwas gehardert. 

Lasst uns nun aber auf den Film schauen:
 

 
Wie wurde das Buch adaptiert?

Der Film ist vom Handlungsstrang und der Anzahl der Figuren um einiges kompakter gegenüber dem Roman. In einer Filmadaption geht es ja nun mal darum Schwerpunkte zu setzen. Ich finde, dass das ganz wunderbar gelungen sind! So fehlt die ein oder andere Figur, der ein oder andere Handlungsstrang, aber das stört überhaupt nicht. Die Beziehungen der Figuren untereinander werden hier viel deutlicher herausgearbeitet. Da ist es bspw. nicht schlimm, dass Karos Vater nur zum Schluss in einer Szene auftaucht, statt die ganze Zeit telefonisch mit ihr in Kontakt zu stehen oder dass es den "Übergangsmann" David nicht gibt, wo es doch um ihre wachsende Beziehung zu ihrem platonischen Freund Max geht, einem Mann, der ihr zum ersten Mal gut tun.
 
Unterm Strich ist es da nur ganz logisch, dass die Regisseurin Laura Lackmann auch das ein oder andere Handlungsmotiv angepasst hat. Alles ist jedoch sehr rund geworden. Durch ihre Adaption erschließen sich sogar weitere Interpretationsebenen. So wird zum Beispiel deutlich, dass Karos Freund Phillip statt einfach nur desinteressiert zu sein, überfordert mit Karos Situation ist. Am schönsten herausgearbeitet finde ich auch die Beziehung von Karo zu ihrer Oma, der Beschützerin, und ihrer Mutter, die selbst depressiv veranlagt ist und von der sich Karo vernachlässigt fühlt.

Die Regisseurin beweist außerdem auch viel Phantasie im Umgang mit dem Roman. So taucht beispielsweise Karos "inneres Kind" (also quasi eine 10-jährige Karo) in Form einer richtigen Figur auf, die mit Karo spricht und sich ihr in den Weg stellt. Die ganzen unterschiedlichen Gedanken und Meinungen in Karos Kopf hingegen werden umgesetzt mit einem großen Stimmengewirr aus dem Off. Auch die erste Therapiesitzung ist sehr schön mit einem optischen Trick in Szene gesetzt: Karo sieht man dabei in der ersten Einstellung ganz klein versunken in der Couch, die Therapeutin hingegen aufrecht, gerade und gefühlt doppelt so groß in ihrem Ledersessel sitzend.
 
Der Film hat wahnsinnig starke Szenen, zum Beispiel wenn es um Karos Panikattacken geht (dass sie sich dabei anders als im Buch noch durch den Berliner Karneval der Kulturen oder den vollen Straßen an Silvester kämpfen muss, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche Dramatik). Der Film hat aber auch lustige Szenen. Zum Beispiel entdeckt Karo, nachdem sie von ihrer Therapeutin aufgetragen bekommen hat, sich mal auf andere Personen als nur auf sich zu konzentrieren, in einem Park zunächst einen Obdachlosen, der gerade sein Geschäft verrichtet und eine Drogenrazzia auf dem Spielplatz und kommentiert dies sinngemäß mit den Worten "alles wie immer eigentlich." Sie sieht aber eben auch ihre Freundin Anna, der es nicht gut geht. Noch so eine tolle Szene, die es jedoch nicht im Buch gibt, ist, als Karos Mutter ihr nach einer Panikattacke zum Einschlafen mit einer beruhigenden Stimme und einer Engelsgeduld ein Supermarktprospekt vorliest.



Wie  ist der Film umgesetzt?

"Mängelexemplar" ist als Film eine bissige, aber sehr humorvolle und schnelle Tragikomödie, gerade am Anfang etwas lauter als es das Buch vielleicht vermittelt. Sarah Kuttner hat als Autorin des gleichnamigen Buches nicht an der Filmadaption mitgearbeitet, sie aber mit großem Interesse verfolgt.

Eröffnet wird "Mängelexemplar" als Film mit einer sehr extremen, nachhaltigen Szene bei der ich wirklich kurz erschrocken bin, untermalt mit einem super treibenden Rocksong als Opener. Zu Karos Entlassung aus dem Krankenhaus wurde "Ich bin komplett im Arsch" von Feine Sahne Fischfilet gewählt. Zum Abspann läuft dann ein versöhnlich-melancholischer Lykke Li-Song, meine ich. Ich hätte bei einer Verfilmung einer ehemaligen MTV- bzw. VIVA-Moderatorin irgendwie mit mehr prägnanter Musik im Film gerechnet. Habe aber auch keine direkt vermisst, muss ich sagen.
 
Karo wird gespielt von Claudia Eisinger. Eine großartige Wahl! Sie verkörpert die Berliner Göre par excellence. Sie ist authentisch, wenn sie eine große Schnauze hat, genauso aber auch, wenn sie sich verletzlich zeigt. Die kindlichen Momente habe ich ihr zwischendurch allerdings nicht zu 100% abgenommen. Unterm Strich ist sie in ihrer Rolle sehr normal und nahbar und verkörpert in ihrer bunten Kleidung und den übergroßen Pullis ideal das Bild der nicht erwachsenwerden wollenden Karo.
 
Katja Riemann als Karos Mutter und Barbara Schöne als Karos Oma finde ich super besetzt! Keine der beiden ist übermäßig stark gegenüber der anderen präsent. Alle drei Frauen harmonieren wahnsinnig gut miteinander. Die beste Freundin von Karo, Anna, wird gespielt von Laura Tonke, die ich bewusst das letzte Mal vor ca. 10 Jahren wahrgenommen habe, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt. Auch ihr nimmt man die Rolle sehr gut ab. Karos Ex-Freund Phillip wird gespielt von Christoph Letkowski, der ebenfalls die entsprechend kühle Seite sehr gut verkörpert, gleichzeitig aber irgendwie doch sympathisch rüber kommt. (Liegt es vielleicht daran, dass ich auf telepathische Art seine Verbundenheit mit Halle und Leipzig wahrgenommen habe, obwohl ich seine Vita noch nicht kannte? In Halle ist er geboren, in Leipzig hat er seine Schauspielausbildung absolviert. Team Christoph, sag ich nur! ;)) Gegenüber der Besetzung von Karos Neu-Freund Max hingegen bin ich noch etwas unschlüssig. Maximilian Meyer-Bretschneider, Jahrgang 1989, ist mit 25 Jahren doch deutlich wahrnehmbar jünger als Karo, verkörpert definitiv diese empathische, "weichere" Seite. Ich hatte ihn mir aber mehr als starken, breitschultrigen Fels in der Brandung vorgestellt, wobei er in der ersten Trennungsszene zwischen ihm und Karo dann doch eine zweite, sehr starke Facette zeigt.
 
Mit den gewählten Film-Sets finde ich den Schauplatz Berlin ganz wunderbar getroffen. Die Seite von Berlin wird gezeigt, die ich in der Art auch für die Story wählen würde, wohingegen das Buch vermittelt, dass sich das meiste in geschlossenen Räumen abspielt. Das Film-Plakat, wie ihr es in meinen Fotos seht, und in Teilen auch der Film-Trailer, finde ich nebenbei bemerkt etwas irreführend. Der Film hat auch eine humorvolle Komponente, definitiv, doch beide sind mir zu sehr in Richtung Komödie ausgerichtet, sagen zu sehr "Arme Karo", vermitteln eher einen hysterischen Eindruck der Hauptfigur. Da hätte ich mir persönlich ein wenig mehr Ernsthaftigkeit gewünscht, für das Plakat zum Beispiel das Motiv des Trailerstandbildes.
 

Fazit
 
Ich finde es so wichtig und total mutig, dass "Mängelexemplar" endlich als Film herauskommt und das Thema "Depression" so unbeschönigt umsetzt und damit seelische Untiefen zeigt, auf die man vorbereitet sein sollte. Es ist ein Film entstanden, der immer sehr zugänglich bleibt. Die Handlung, v.a. aber die Anzahl der Figuren wurden für den Film komprimiert. Er bleibt dennoch in sich schlüssig und macht die Beziehungen der Hauptfiguren untereinander greifbarer und an einigen Stellen vielschichtiger als im Roman.

Am Anfang ist der Film etwas schneller und lauter (so wie es der Trailer vermittelt), ab der Mitte wird er etwas ruhiger, was ich sehr angenehm finde und was die Entwicklung der Figur Karo gut widerspiegelt. Obwohl der Film insgesamt knapp zwei Stunden dauert, hat er meiner Meinung nach keine Längen. Im Gegenteil, gerade gegen Ende hatte ich öfter kurz das Bedürfnis mal auf Pause zu drücken, um die Handlung zu verdauen und die Bilder wirken zu lassen.
 
Für mich ist "Mängelexemplar" auch ein Film über verschiedene Frauengenerationen in der heutigen Gesellschaft, über das Sich-Verlorenfühlen angesichts all der Möglichkeiten, über das Sich-auf-andere-einlassen, um Hilfe bitten. Für mich ist es auch ein Berlin-Film - durch seine Schauplätze, seine Geschwindigkeit, Intensität und Abgründe. Ein Film mit starken Bildern und sehr sympathischen Darstellern. Ein Film, der einen von der ersten Sekunde an mitreißt, der Lust auf Leben macht.

Das Buch hat mich berührt. Der Film hat mich zum Weinen gebracht. Daher eine unbedingt Empfehlung meinerseits und bisher mein Highlight des Kino-Jahres 2016!
 
"Mängelexemplar" ist ab dem 12.05.2016 in den deutschen Kinos zu sehen.
 

 
Falls ihr mehr erfahren möchtet, klickt euch bitte unbedingt auf die Facebook-Seite zum Film weiter!

Und zum Schluss noch einmal einen riesen Dank, dass wir zur Vorführung eingeladen wurden! :)
 
Wie steht ihr zu dieser Art von Themen?
Könnt ihr euch vorstellen den Film zu schauen?

Sobald ihr den Film gesehen habt, hinterlasst mir bitte unbedingt einen Kommentar!

Alles Liebe,
Eure Katharina

8 Kommentare:

  1. Hallo Katharina!
    Eine sehr schöne und ausführliche Rezension! Dir hat der Film ja sehr gut gefallen - ich hatte nur den Trailer gesehen und der hat mich doch sehr an eine Komödie erinnert. Und das hat mir leider gar nciht gefallen. Und in gewisser Weise scheint der Film ja auch in diese Richtung zu gehen - okay, Tragikkomödie hast du es genannt.
    Das Buch hat mir ja sehr gut gefallen, den Film werde ich mir aber nicht anschauen.
    Ich finde Buch-Film-Vergleiche ja immer ein bisschen schwierig, da ich eigentlich denke, dass es zwei komplett unterschiedliche Medien sind mit jeweils anderen Stärken und Schwächen. Es gibt Szenen, die gehen als geschriebener Text besser, andere besser als Film. Und man kann das dem Medium halt nicht vorwerfen und es dafür gar schlechter bewerten. Deshalb finde ich auch gut, dass du zwar den Vergleich zum Buch bringst, aber halt auch sagst, dass es gut ist, was verändert wurde und es als Film so besser funktioniert.

    Liebe Grüße
    Sabine

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    1. Hallo Sabine,

      vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass dich die Rezension nicht gleich erschlagen hat. ;)

      Ich finde den Trailer auch irreführend. Diese schnellen Pop-Kultur-Anleihen hat der Film definitiv, aber eben meiner Meinung nach vor allem am Anfang, danach wird er ruhiger.

      Es freut mich sehr, dass du herausgelesen hast, dass ich direkt keine Wertung zur Filmadaption im Sinne von "das und das ist besser/schlechter" abgegeben habe. Es ist irgendwie eine Verfilmung des Romans, aber eben auch nur eine Sichtweise. (Auch wenn ich denke, dass wer Sarah Kuttner kennt, sich den Film so ähnlich hätte vorgestellt.)

      Ich denke, einiges an Abstand zum Buch tun gut, um sich auf den Film einzulassen. :)

      Liebe Grüße!
      Katharina

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  2. Hallo meine Liebe,

    Das war echt eine toll beschriebene und ausführliche Rezension. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mir den Film im Kino angucken würde - auf DVD aber auf alle Fälle. Ins Kino ziehen mich nur sehr sehr wenige Filme.

    Danke auch für deinen Kommentar unter meinem Blog :*

    Liebste Grüße,
    Nadine
    www.lyvzblog.blogspot.de

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    1. Hallo Nadine,

      ich danke dir wirklich sehr für deinen Kommentar. Es freut mich sehr, dass dich das Thema interessiert hat! <3

      Ha, ja, das verstehe ich. Ich bin da auch sehr geizig, wenn es um Kinobesuche geht. 15/20€ sehe ich meist nicht ein, gehe höchstens mal in ein kleineres Kino, wo's dann nicht über 6€ kostet. Aber auch nur selten. :)

      Ich hoffe, dass dir der Film dann auch gefallen wird bzw. dich berühren wird. :)

      Liebe Grüße und noch einen schönen Feiertag!
      Katharina

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  3. Vielen Dank für diese lange, ausführliche Rezension! Auf mich macht der Trailer einen guten ersten Eindruck und vielleicht werde ich mir den Film auch ansehen. Das Buch dazu habe ich leider noch nicht gelesen, habe es aber auf jeden Fall noch vor :)

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    1. Hallo Julia,

      bitte, sehr gern! ;) Ich danke dir sehr für deinen Kommentar und freue mich wirklich, dass dich das Thema meines Beitrags interessiert hat!

      Der Trailer ist so eine Sache. Ich glaube, er verschreckt die Fans des Buches zu erst etwas, aber wenn dich der Trailer angesprochen hat, dann wirst du, glaube ich, nicht enttäuscht werden! Vielleicht ein Plus, dass du das Buch (noch) nicht kennst.

      Ich wünsche dir sehr viel Spaß mit dem Film, auch wenn du dich auf das ein oder andere Tränenvergießen vorbereiten solltest. ;)

      Liebe Grüße!
      Katharina

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  4. ein richtig schöner Blogpost und so ausführlich. ich muss ja sagen, dass ich kinotechnisch so garnicht auf dem aktuellsten Stand bin.. aber freue mich immer auf solche Blogposts von Euch, Der Film könnte auch etwas für mich sein.
    habt ein schönes Pfingsten..
    lg tina von www.beautiful-way-of-life.blogspot.de

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    1. Liebe Tina,

      ich danke dir sehr für deinen lieben Kommentar! Es ist immer so schwierig über etwas kurz zu schreiben, was einem viel bedeutet... Umso mehr freut es mich, dass du meinen - zum Teil wirren - Gedanken folgen konntest. <3

      Ich hoffe, der Film gefällt dir, falls du ihn schauen solltest!
      Liebe Grüße und noch einen schönen letzten Feiertag!
      Katharina

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